Drive-by Snapshots Silvester Blues 001 | Lost Places Photography by Sebastian Motsch (2017)

Silvester Blues

Flag GermanySilvester Blues | Erinnerungen an schöne Zeiten

Ein paar Stunden noch bis die Zukunft beginnt

Es ist der letzte Tag des Jahres. Nach dem obligatorischen Weißwurstfrühstück in guter Gesellschaft verbleiben noch ein paar Stunden um das fast vergangene Jahr abzuschließen. Freund Jonas entriegelt mit der Fernbedienung seine leicht patinierte C-Klasse aus den späten Neunziger Jahren und wir steigen ein. Unsere Blicke schweifen über den mit einer rot-weißen Bommelmütze bekleideten Stern. Wohin wird er uns in diesen letzten Stunden des Jahres den Weg weisen?

Ohne Ziel fahren wir los und genießen das behäbige Brummen des Vierzylinders bei einer gemütlichen Tour über geschwungene Landstraßen ohne jeglichen Verkehr. Während der Himmel überall gleich grau bleibt, wechseln sich weiße Schneeflächen auf den Feldern mit dunklen Waldstücken ab. Die schwarz-weißen Leitpfosten imitieren diesen Kontrast und die Katzenaugen reflektieren das warme Licht der Halogenscheinwerfer. Ganz von alleine stellt sich auf dieser Strecke ein Rhythmus ein, dessen Tempo deutlich unter den Haftmöglichkeiten des trockenen Straßenbelags liegt. Entspannt unterhalten wir uns über vieles, was uns in den letzten zwölf Monaten bewegt hat.

Ein paar verschlafene Dörfer weiter wendet sich das Gespräch zu dem, was wir in der Sommersaison bewegt haben. Erinnnerungen an schöne Ausfahrten bei blauem Himmel werden wach und abwechselnd geben wir Anekdoten über kleine Missgeschicke zum Besten. Lachend und in positiven Erinnerungen schwelgend vergeht die Zeit wie im Flug, als wir plötzlich gleichzeitig verstummen. Standen da wirklich gerade ein paar Autos aus der guten alten Zeit hinter dem letzten Wäldchen, oder spielt uns die Phantasie etwa einen Streich? Wie immer gibt es nur eine Möglichkeit das herauszufinden. Dank des kleinen Wendekreises des Hecktrieblers sind wir in nur einem Zug auf dem Weg zurück in die Zukunft.

Zurück in die Zeit in der die Vergangenheit noch Zukunft war

Der Wagen wippt leicht nach als wir am Rand der kleinen Landstraße anhalten und aussteigen. Die Türen fallen mit dem satten Geräusch ins Schloss, an dem man einen Mercedes-Benz auch in stockfinsterer Nacht erkennt. Die Szenerie die sich unseren Augen bietet mutet surreal an. Kreuz und quer stehen diverse Youngtimer auf einer verschneiten Wiese, die langsam aber sicher vom Wald zurückerobert wird.

Passend zum bis Mitternacht laufenden Countdown beginnt der Schnee zu schmelzen, als ob er es unbedingt noch vor dem Jahreswechsel schaffen will sich zurückzuziehen. Wir sind nicht für einen Ausflug in den nassen Schnee ausgerüstet, aber da ich meine Kamera dabei habe will ich diese einmalige Gelegenheit nutzen. Sehr vorsichtig gehen wir einen Schritt nach dem anderen. Wir wollen vermeiden in eine der tiefen Pfützen zu treten, die sich hinterhältig unter dem Schnee verstecken.

Mercedes-Benz W201

Die erste Gruppe Fahrzeuge an die wir uns heranpirschen weckt nostalgische Gefühle in mir, da mein erstes Auto nach dem Studium ein Mercedes-Benz W201 190E 2.3 war. Knapp über drei Jahre und mehr als 70.000 km fuhren wir zusammen durch Europa. Ich hätte den Baby Benz heute noch, wäre er nicht an der Schiebetür eines T4 zerschellt, der uns die Vorfahrt nahm. Der rechte Längsträger war verbogen und reparieren lohnte sich damals nicht. Damals? Gekauft habe ich den Baby-Benz im Farbton 441 Impalabraun Metallic im Jahr 2008 aus erster Architektenhand. Solide, schnell, langstreckentauglich und leicht zu reparieren waren die Kriterien für die neue Karriere als Wochenendpendlerfahrzeug. Fahren, Tanken und alle 25.000 km das Motoröl wechseln. Sonst nichts. Gute alte Zeit.

Mercedes-Benz W201 Silvester Blues 01 | Drive-by Snapshots by Sebastian Motsch (2017)

BMW E30

Auch diese Baureihe hat in meinem Herzen einen festen Platz, da der leider verunfallte W201 durch ein BMW E30 Cabrio ersetzt wurde. Winterdienst musste das komplett frisch lackierte und mit einem neu aufgebauten M42 bestückte Cabrio seither nie mehr leisten. Seit zehn Jahren genießen wir die Sommer zusammen und reisen offen kreuz und quer durch Europa. Besondere Vorkommnisse in der gemeinsamen Zeit? Eine defekter Generator. Nicht weiter schlimm, konnte ich doch noch von Beaune, der Hauptstadt des Burgund, bis in meine Heimatstadt Offenburg “auf Batterie” fahren. Nach und nach fielen Verbraucher und Anzeigen aus, aber erst drei Kilometer vor meinem Elternhaus war dann bei einer Restspannung von 8,6 Volt endgültig Schicht im Schacht. Genau wie bei meinem Mercedes-Benz und allen anderen BMW die ich als Winterautos besaß, gab es ansonsten keine besonderen Vorkommnisse.

BMW E30 Silvester Blues | Drive-by Snapshots by Sebastian Motsch (2017)

BMW E34

Der BMW E34 ist eine Ikone der späten 80er und frühen 90er Jahre und hing, wie der E30, in meinem Kinderzimmer als Poster neben Ferrari F40 und Lamborghini Countach an der Wand. Als wir den waidwunden 5er entdecken freuen wir uns über das zeitlose Design und schwelgen in Erinnerungen an diverse Fahrzeuge dieser Baureihe, die Freunde von uns oder wir selbst besessen haben. Durch den weiterhin schnell schmelzenden Schnee kommen wir nicht näher an ihn heran. Fast habe ich ein schlechtes Gewissen, gleich mehrere dieser hervorragenden Reiselimousinen als Winterautos verschlissen zu haben. Aber sie waren halt billig und ich brauchte das übrige Geld zum Reisen. Der letzte für den Wintereinsatz gekaufte E34 wanderte jedoch nach der Beschau des Unterbodens umgehend in die trockene Halle zum Überwintern und darf seither mit Saisonkennzeichen die Sommer genießen. Vor Pfingsten habe ich ihm einen dreiwöchigen Ausflug nach Süditalien spendiert. Und was soll ich sagen… außer Sightseeing ist auf den 6.000 km nichts passiert.  Er hat keinen Tropfen Öl verbraucht und nicht mal am Kühlwasser genippt. Buon viaggio in Italia.

BMW E34 Silvester Blues | Drive-by Snapshots by Sebastian Motsch (2017)

Andere Youngtimer

An jedes Fahrzeug mit dem man in seinem Leben in Kontakt kam hat man andere Erinnerungen. Beim Betrachten der nur noch halb eingeschneiten Fahrzeuge werden lange verschollene Erinnerungen wach. Die erste Fahrt in die Disco mit 16, auf der Rückbank eines roten Volkswagen Golf III, blieb vor allem wegen des Kontrasts der Musik in Erinnerung. Im Auto Die Ärzte und in der Disco dann House und Trance vom Feinsten. Plötzlich steigt mir der Geruch ranziger Milch in die Nase. Nein, nicht in die Nase – nur ins Gehirn, beim Anblick des Golf II. So einen hatte die beste Freundin meiner Schwester – mit eben jener Duftnote, nach einem Missgeschick beim Einkaufen im Sommer. Die Mutter eines Lehrlingskollegen hatte einen Suzuki WagonR+ und er deshalb immer einen dummen Spruch an der Backe, weil er am Wochenende damit rumkurvte und sich irgendwie für das Frauenauto schämte. Der Chrysler Vision weckt zwar keine Erinnerungen an früher, aber triggert sofort den Gedanken an einen gemeinsamen Freund der sich sofort in diesen verlieben würde. Alle die wir kennen haben eins gemeinsam: jeder hat schon einmal eine bestelle Pizza mit einem gelben FIAT Cinquecento geliefert bekommen. Mit diesem Farbtupfer verabschieden wir uns von dem verwunschenen Ort, lassen die Zeitmaschinen zurück und freuen uns auf das bunte Feuerwerk um Mitternacht.

Ich wünschen allen Lesern einen Guten Rutsch ins Neue Jahr!

Herzliche Grüße

Sebastian Motsch